Über die antike Arachne ist bei Ovid Folgendes überliefert:
Die Tochter eines Purpurfärbers in Hypaipa war eine mutige Frau, die die lydische Kunst, Bilderteppiche zu weben, so vollkommen beherrschte, dass sie sich zutraute, die Göttin Athene zum Wettkampf herauszufordern. Athene zerriss das technisch einwandfreie Werk ihrer Konkurrentin zornig und verwandelte sie in eine Spinne, die nun, am Faden hängend, unaufhörlich wunderschön webt. (Ovid, Metamorphosen 6,5 ff.)
Als wir vor zwanzig Jahren daran gingen, einen Buchverlag aufzubauen, wurden wir gefragt, ob Büchermachen sich noch lohne. Wer habe noch Zeit zu lesen? Ein Druckerzeugnis als Wissensvermittler? Sicher – seine digitale Konkurrenz ist schneller verfügbar und preisgünstiger.
»Je bucher ein Buch ist, um so mehr lohnt es sich«, sagte ein großer Schweizer Verleger, als die Hörbücher im Kommen waren. Das sagen wir immer noch und pflegen – die Weberin Arachne vor Augen – weiterhin ein altes Handwerk.
Die Digitalisierung sehen wir nicht als Gefahr des Buches, denn ein Buch soll mehr sein als ein Informationsträger. Erst recht im Zeitalter des WWW kann Arachne noch als Spinne einem Verlag Namen und Programm geben, der seine Themen gerne in Grenzbereichen ansiedelt und dort Netzwerke webt. LeseFest, Literaturkreis, Workshop – um drei Stichworte zu nennen – gehören kontinuierlich zu unserem Arbeitspensum.
Wir greifen nicht mehr zur Feder.
Wir werfen die Tintenfässer aus dem Fenster.
Wir bauen keine Barrikaden aus Spiegelbildern mehr.
Wir lassen den Glauben in der Kirche.
Wir bringen keine Liebe mehr zu Gehör.
Wir lassen die Hoffnung nicht mehr Karussell fahren.
Wir geben das eine um das andere Wort auf.
Wir setzen mit keiner Sprache mehr über.
Wir ziehen von A bis Z keine Kinder mehr groß.
Wir lassen die Lieder den Vögeln.
Wir verteidigen keine Widerworte mehr.
Wir verleihen keinem Eindruck Ausdruck mehr.
Wir legen auf die Goldwaage keine Silbe mehr.
Wir werden uns nicht mehr zum Auflesen bücken.
Wir lassen das Wort auf der Zunge liegen.
Wir werden Zeilen nicht mehr in Äxte verwandeln.
Wir lassen das Papier im Dschungel.
Wir überlassen den Wortschatz den Gerüchten.
Wir schweigen das Schweigen tot.
Joachim Rönneper