Ulrich Scharfenorth Instabile Seitenlage Bizarre Gedanken und Reminiszenzen 160 Seiten |
Ich glaube, dass die Zeit Wunden reißt, dass sie fortzulaufen vermag — ohne Abschied und Wiederkehr. Ich glaube, dass der Mensch dabei weinen, lachen und überwinden kann. Da reiben sich Kindheitserinnerungen am nachkriegsmüden Deutschland, da stirbt ein Bekannter den Tod, den er nicht verdient, da plant ein Menschenfreund »das entscheidende Attentat«, da fordert ein Kind physisch und moralisch den Aufschwung, da arbeitet sich ein Ossi durch das ungewohnte Terrain eines westdeutschen Verlages, da geht es um AlbTräume, die nicht aufhören wollen und um Empfindungen, die erden könnten, aber zum Himmel schreien. Ulrich Scharfenorth
… Es geht um die Hilflosigkeit, der unsere Nachkommen in Zukunft ausgesetzt werden könnten. Es geht um die damit verbundene persönliche Einschränkung, wie man sie heute nur autoritären Regimen zuordnet. Werden Cern.5, wird die Kernfusion, werden Marsausflüge, Vollautomatismen, werden Cyborgs, wird das KI-gesteuerte Sehen und Hören – wird das alles die Verluste im Außertechnischen, im rein Menschlichen wettmachen können? Oder wird der globale Kapitalismus weiter tosen – solange, bis alles zu Bruch geht? Fragen über Fragen, auf die es hier Antworten und neue Fragen gibt … Ulrich Scharfenorth
In der Reihe querbeet 9 |
|
Ulrich Scharfenorth Die Zukunft sieht anders aus 154 Seiten |
Leseprobe:
Es grenzt an Irrsinn, wenn im Ahrtal an den schlimmsten Abschwemmungsorten genau die Gebäude wieder errichtet werden, die es dort ursprünglich gab. Es grenzt an Irrsinn, wenn gleichzeitig am Entstehungsort der Flut. Also dort, wo die Flüsschen anfangen sich zusammenzuballen, nichts getan wird, um einer erneuten Katastrophe ausreichend vorzubeugen. Es gibt offenbar bislang weder die Empfehlung, geschweige denn die strikte Anweisung, ausreichende Überschwemmungsflächen zu schaffen – auch wenn dabei sinnwidrig erstellte Bauten abgerissen werden müssen. Stattdessen vertraut man windigen Ansagen, nach denen Katastrophen wie die im Jahre 2021 nur alle hundert, zweihundert oder dreihundert Jahre vorkommen sollen. Zudem wird behauptet, dass der gewaltige Strom von selbst für neue riesige Flächen gesorgt habe – Gelände, die jetzt für neuerlich überfließendes Wasser zur Verfügung stünden.
Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt, dass solche Aussagen fahrlässig, besser gesagt: kriminell sind. Denn es ist offensichtlich, dass das Ahrtal in den vergangenen Jahrhunderten regelmäßig von Katastrophen heimgesucht wurde, Katastrophen, die schwerste Schäden hinterließen. Was offenbar der Einbettungs-Spezifik der Ahr und ihrer zahlreichen Zuflüsse geschuldet ist. Die Aufzeichnungen belegen, dass die Flut schon immer große Flächen freigeschlagen hat und die Anrainer zunächst nicht anderes taten als aufzurichten, was zerstört wurde. Irgendwann aber blieb es nicht bei der Schicksalsergebenheit. Irgendwann – vermutlich jeweils, wenn die schlimmen Ereignisse in Vergessenheit geraten waren – begann man damit, die ertraglosen Flächen in Frage zu stellen. Sprich: deren Bebauung zu erwägen. Aber nicht nur das: Man baute dann auch, was zur immer deutlicheren Auszehrung der Abflussgebiete führte.
Heute glaubt man erneut, dass die Flut das Ausreichende getan und genügend Fläche freigeschlagen hat. Kaum jemand denkt darüber nach, dass es sofort eine komplexe, sprich: allumfassende und übergreifende Systematik in der Flutprävention geben muss. Dass die im Gefolge erforderlichen Maßnahmen konkret berechnet und Korrekturen an Gelände und Bebauungen vorzunehmen sind.
Die zuständigen Behörden/Naturschützer sind seit 2023 damit beschäftigt, Konzepte zu erarbeiten. Ihnen wurde ein Budget von 4 Millionen Euro (!) zugestanden. Keine Ahnung, ob man damit auch nur ansatzweise vorankommt. Fest steht, dass die Witterungsunbilden schon in Kürze Formen annehmen dürften, die wir hier zu Lande nicht gewohnt sind (man denke nur an die extrem warmen Ozeane, die endlos viel Wasser an die Wolken abgeben und dann … an die Tiefdruckgebiete, die weltweit immer standortfester den Starkregen abdrücken). Dass das wiederum das Ahrtal treffen könnte, scheint mir absolut sicher. Denn die »Einschläge kommen näher«, sprich: Es dürfte sehr viel öfter als bisher zu außergewöhnlichen und dann auch zu sehr viel heftigeren Niederschlägen kommen – nicht mehr nur in der Tradition zurückliegender Geschehnisse. Nein! Barbarisch – wie 2021 erlebt.
Ich vermute, dass sich Dummheit, Trägheit und Menschen auch in unserer heutigen modernen Zeit nicht verflüchtigen. Und dass wir vielerorts sehenden Auges ins Malheur schreiten. An das, was sich sehr viel später, vielleicht in den kommenden 50 Jahren ereignet, mag ich gar nicht denken. Ich sage da immer: Leute, verlasst die Täler und Flussläufe. Siedelt euch auf den Hügeln an – auch wenn das finanziell Blut kostet. Hügelt, so gut ihr könnt. Aber übertreibt das nicht! Meidet die höheren Höhen. Denn auch von dort droht ernste Gefahr. Die wirklichen Berge, die wirklichen Gebirge sind am »Entfrosten«. Was schlicht bedeutet, dass der »Eiskitt« allmählich verloren geht – mit der Folge, dass sich Gerölllawine über Lawine, und Mure über Mure auf diejenigen stürzen werden, die arglos den Weg kreuzen oder ihre Hütte falsch verortet haben.
O, JA, das wird eine neue Enge generieren – die Enge auf den leichten Hügeln. Und es wird die Wut antreiben, den Konflikt zwischen denen, die es auf die Hügel schaffen und denen, die dabei zusehen dürfen … Ulrich Scharfenorth
Ulrich Scharfenorth
1941 geboren in Lehnitz/Land Brandenburg
1964–90 als Technologe, Forscher und Gutachter in der DDR-Stahlindustrie tätig
1970 Promotion zum Dr.-Ing.
1997–2004 Chefredakteur einer Fachzeitschrift in Düsseldorf
Danach freier Journalist und Autor
Lebt in Ratingen
Seit 1960 Lyrik und Kurzprosa
Seit 2019 Dokumentarfilme
Seit 1991 Mitglied im Literaturkreis ERA e.V.
Seit 2003 Moderator der Ratinger KULTURkneipe
1994 »Absturz ins Paradies« (Gedichte, Prosa)
2004 »Aufzeichnungen aus der Blackbox« und »geschrotet« (Audio-Collagen)
2008 »Störfall Zukunft – Schluss-Folgerungen für einen möglichen Anfang« (Sachbuch)
2010 »Aus der Reihe getanzt« (Erzählungen)
2011 »abgebloggt« (Sachbuch)
2017 »Da war mehr als Bitter Feld« (Reflexionen)
2018 »EinStein« und »Zukunft … oder keine« (Essays)
2019 »Kuba – fast die gesamte Wahrheit« und »Paris BelleEpoque« (Dokumentarfilme)
2021 »Alter Mann, was tun?« und »Ich habe euch gewarnt« (Essays)
Leseprobe:
Heute hat sich der Osterhase enthoppelt.
Mein Enkel fand die Tasche mit den Überraschungen, die mein Sohn und meine Schwiegertochter nächsten Sonntag im Garten verstecken wollten. Tränen. Enttäuschung. Hinwerfen, Wälzen, Schreien. Lufttritte wie zur Verteidigung. Ein Schlag in die Kinderseele, der sichtlich vom Kopf bis in den Bauch wütete. Es ist erstaunlich zu erleben, wie groß in etwa so eine Kinderseele sein mag. Keine Schrotflinte dieser Welt hätte den Osterhasen tödlicher töten können.
Auch das Christkind wurde mit in den Abgrund gerissen. Konnte noch am Weihnachtsabend die kindliche Verwunderung meines Enkels über das ihm irgendwie bekannt vorkommende Geschenkpapier in den Lichterglanz weggesungen werden, so stieg eben der alte und doch so junge Zweifel wie ein Geist aus der Flasche. Er schwebte im Raum, Seite an Seite mit dem Hasen, Auge in Auge mit dem blinzelnden Enkel. Zwei schmale Schlitze, hinter denen ein imaginärer Bogenschütze bereits seine Pfeile einspannte.
Eine erste Feindberührung? Die Wirklichkeit, die Wahrheit, die krasse Realität im Frontalangriff auf ein Märchenschloss? Oder doch noch der feuerspeiende Drache gegen das pinkfarbene Einhorn? Rumpelstilzchen beim Hören des eigenen Namens?
Mit dem Christkind wurde auch der Nikolaus in den Abgrund gerissen. Adieu Rentierschlitten. Kein prall gefüllter Sack mit Süßigkeiten mehr, keine Reise über Dächer, unter denen Kinder schlafen. Das helle Glockengeläut an Zaumzeug und Gestänge verklungen, das sonore »Hohoho« aus dem weißen Rauschebart des alten Mannes wie ein Erkennen des verhöhnenden Wortes Hohn.
Mit dem Nikolaus stürzten ebenso die Engel. Brachen sich die Flügel, verloren ihre Fähigkeit, Kinder jederzeit und überall zu beschützen. Sie, die auch in der Vorweihnachtszeit alle Wunschzettel von den Fensterbänken eingesammelt und zur himmlischen Posteingangsstelle getragen hatten.
Mit der gesamten Schar der verunglückten Glücklichmacher bekam auch das Urvertrauen zu Vater und Mutter einen spürbaren Knacks. Es fühlte sich an wie vermeintlich fester Boden während eines Erdbebens. Es gab Aufbrüche und Risse. Lächelnde Mundpartien wurden zu Puzzleteilen, die sich schwer wieder einpassen ließen in die Eltern-Gesichter. Was sonst noch ist vorgespielt? Was kann man denn überhaupt noch glauben? Was nicht?
Gefallene, Gestürzte, Entzauberte.
Hasen, die Haken schlagen zur Flucht. Osterlämmchen, eben erst in diese Welt geboren, die auf zittrigen Beinchen neben ihren Müttern stehen – und im Backofen enden werden, noch bevor die ersten Wiesenblümchen ihre zarten Blüten entfalten.
Krähende Hähne, gackernde Hühner. Hühner. Und Eier. Eier. Eier.
Ach ja. Und Schokolade, die Schokolade bleibt. Auch, wenn aus nicht verkauften Weihnachtsmännern später Hasen werden. Mit Glöckchen um den Hals.
Jahr für Jahr.
Ach ja. Und Kinder, die Kinder bleiben.
Aber immer ein bisschen weniger.
Tag für Tag.
Barbara Ming
Kopfsprünge
Erzählminiaturen
Klappenbroschur, 160 Seiten
ISBN 978-3-9826283-0-1
LP 18,— €
Bei einem Besuch in der Düsseldorfer Innenstadt springt mir eines Tages völlig unerwartet ein Kopf entgegen. Da entdecke ich am Sockel einer Rheinbrücke dieses eigenartige Bild, eine Collage aus Papierfetzen und in Teilen mit Graffiti bemalt.
Von Zeit und Wetter strapaziert starrt mich ein Auge an, übergroß und mit künstlichen Wimpern. Ein einzelnes Auge in einem unrasierten Männergesicht! Die Nase, seltsam nach oben versetzt, das Ohr irgendwo seitlich, der Mund, leicht lasziv. Und irgendwelche Hände sind da, als versuche die Welt des schönen Scheins diesen verfremdeten Kopf zu befingern, ihn zu vereinnahmen. Alles verrutscht, alles verschoben und merkwürdig. Vielleicht ein Bilderrätsel? Links am oberen Rand noch einige wenige Schriftzeichen.
Könnte das »Wake Up« heißen?
Barbara Ming
Eine Liebesgeschichte und ein Kaleidoskop der Jahre 1944 bis 1948 – ein Roman, dessen Authentizität auf wiederentdeckten Tagebuchnotizen, Briefen, Fotos, beruht.
Mich trieb plötzlich die Neugierde, einen alten Koffer zu untersuchen. Der hatte fünf Umzüge überstanden, der Schlüssel war über 60 Jahre von Schublade zu Schublade gewandert, bis er den Koffer öffnete und einen Schatz zum Vorschein brachte …
Ich las jeden einzelnen Brief, den sich Grit und Hans-Gerbert geschrieben hatten. Sie gaben mir einen Schlüssel zur Welt unserer Elterngeneration …
Ich suchte, fragte, recherchierte, bis ich das Puzzle zusammenfügen konnte: Mir gelang es, die unmittelbare Nachkriegszeit vor dem deutschen Wirtschaftswunder als eine prägende Phase unserer Eltern zu erfahren. Sprachlosigkeit, Verdrängung und unverarbeitete Trauer dieser Generation bereiteten den Boden für den Protest der Jugend in den 60er Jahren. Und es brauchte wiederum mehr als 25 Jahre, sich schonungslos mit der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen.
Gesine Berendson Den Schlüssel finden Roman einer Brieffreundschaft 520 Seiten |
Schwarz. Grit schaute an sich herab. Vor einem halben Jahr hatte sie Rock, Bluse und Mantel schwarz färben lassen. Sie verstand nun, warum die Trauernden Schwarz tragen. Farbigkeit bedeutet Optimismus, Lebensbejahung und Kraft. Der Tod ihres Verlobten hatte ihr keinen Rest davon gegönnt. Vor ihr steht das letzte Foto von Heinz. Er lächelt in die Kamera, eine Zigarette im Mund, vor seinem Lazarett inmitten seiner Kameraden. Wenige Tage später war der gegnerische Angriff gekommen, an einem Granatsplitter war er verblutet.
Sie nahm wieder die letzten Feldpostbriefe aus der Trauermappe und vertiefte sich in seine ihr gewidmeten Liebesgedichte. Sie, die Junglehrerin, und er, der fertige Arzt, hatten sich für die Nachkriegszeit eine hoffnungsvolle Zukunft ausgemalt. Es war ihr, als spüre sie keinen Boden, nur einen endlosen Abgrund. Ohne Heinz fühlte sie sich als ein Nichts. Die anderen waren am Leben, sie wünschte sich deren Willensstärke und Fürsorglichkeit.
»Ich bin in einem politischen Elternhaus groß geworden. Mit 16 Jahren besuchte ich mit einer sozialistischen Schülerzeitungsgruppe die CSSR und Lidice. Dort wurden wir durchs wiederaufgebaute Dorf von einer alten Frau geführt, die wie durch ein Wunder den deutschen Überfall sowie die Vernichtung der Bewohner durch deutsche Sondereinheiten überlebt hatte. Diese Begegnung prägte mein Studium und weiteren Werdegang. Reisen in den Osten und nach Israel führten mich tiefer in die NS-Zeit. Beschämt nahm ich noch in den 1990er Jahren das Unvermögen vieler Deutscher wahr, sich ihrer Verantwortung zu stellen. Seit 2023 bin ich als Kreistagsmitglied kommunalpolitisch tätig, um meinen Beitrag gegen den aufstrebenden Rechtsradikalismus zu leisten.«
Gesine Berendson
Udo Rasch, Jahrgang 1950, verbrachte seine Kindheit in einer Kleinstadt im Rheinland.
Nach Beendigung seines Ingenieurstudiums lebte er für einige Jahre in Düsseldorf, bevor ihn seine berufliche Entwicklung fast 40 Jahre lang in seine Geburtsstadt zurückführte.
Als Autor und Co-Autor einer Vielzahl technisch-ingenieurwissenschaftlicher Publikationen hat er sich weltweit einen Namen gemacht. Erst gegen Ende seines Berufslebens begann er mit dem Schreiben kurzer literarischer Texte, die er aber nie veröffentlichte.
Aus diesem Fundus stammen die Geschichten von der Weststraße. Er lebt heute mit seiner Frau im Raum Frankfurt/Main im Ruhestand.
»Zeit um aufzustehen. Das war der einzige Luxus in unserer Dachkammer: man schlief wie ein Stein und fühlte sich nach dem Wachwerden erquickt und ausgeruht. Ich hielt den Atem an, um mich beim Aufdecken des Oberbetts vor dem Kälteschock zu schützen. Schnell sprang ich aus dem Bett, möglichst geräuschlos, denn ich wollte den kleinen Max nicht wecken, der mit mir die Kammer teilte. …«
So beginnen die Tage für Udo Rasch, der in diesem Buch drei Jahre seiner Kindheit Revue passieren lässt, Erinnerungen an Freuden, Erwartungen, Sorgen und Entbehrungen, die Kinder des 21. Jahrhunderts kaum nachempfinden können.
Der Alltag in einer vergangenen Welt, den inzwischen Zeithistoriker spannend finden. Und die Erinnerungen daran bewahrenswert
LeseprobeIn unserer Stadt konnte man an Größe und Zahl der Kirchen sehen, wer das Sagen hatte. Es gab neben der imposanten Stadtkirche Sankt Peter und Paul noch vier weitere katholische, aber nur zwei protestantische Kirchen. In der Weststraße bildeten wir evangelischen Kinder eindeutig die Minderheit. Die meisten unserer Spielkameraden gingen daher nicht wie wir zur evangelischen Grundschule in der Talstraße, sondern in die katholische in der Innenstadt. Da hatten sie einen viel kürzeren Schulweg. Beneidenswert. Es gab eine Rivalität zwischen den evangelischen und katholischen Kindern. Katholiken ließen uns gerne unsere Unterlegenheit spüren, vor allem bei festlichen Anlässen. Überhaupt hatte ich den Eindruck, dass bei Katholiken viel mehr gefeiert wurde als bei Protestanten. Unsere Spielkameraden kriegten regelmäßig Geschenke von Verwandten aus irgendeinem Anlass, sei es Namenstag, Geburtstag, Weihnachten, Ostern, Firmung, Erstkommunion, wegen einer Prozession und was weiß ich noch. Da ging es bei uns Protestanten viel knapper zu. Wir mussten oft monatelang warten, bis sich wieder der Anlass für ein Geschenk ergab. Zum Glück war Tante Anneliese katholisch und brachte daher überraschend immer mal wieder kleine Geschenke für mich mit, wenn sie Mama besuchte. Dafür brauchte sie keinen Anlass. |
|
© für alle Fotos: Udo Rasch |
Ein Ausstellungskatalog geht in die dritte Auflage! Das ist bei einem Buch, das in erster Linie in Museumsshops zu finden ist, ungewöhnlich. Oft wandern bei Ausstellungsende die verbleibenden Exemplare ins Antiquariat.
Was ist bei diesem Buch anders? Das Buch war damals, 2004 – ebenso wie die Ausstellung – provokant. Nein, es ging nicht nur um eine umstrittene Puppe. Es ging um die Geschichte hinter dieser Puppe.
Darüber schreibt Dr. Ursula Mildner, damals die Leiterin des Museums der Stadt Ratingen, im Vorwort zur 3. Auflage:
Mit Barbie, über die viele damals noch die Nase rümpften, eine Ausstellung zu realisieren, war wohl riskant, bot jedoch eine fantastische Möglichkeit, Mentalitätsgeschichte darzustellen – mit einer Puppe die veränderten Berufs- und Lebensbedingungen von Frauen in der zweiten Hälfte des 20. Jh. abzubilden, also mit »Busy Girl – Barbie macht Karriere« ein feministisches Thema zu bedienen.
Unsere Ausstellung ging unter vielen Mitbewerbern als Gewinner einer Ausschreibung des Kultus-Ministeriums hervor und wurde von mehreren NRW-Institutionen finanziell unterstützt.
Mit Karin Schreys Recherchen zur Geschichte der weiblichen Berufstätigkeit sowie Bettina Dorfmanns Kenntnissen über die Barbie und einem Großteil ihrer Sammlung entstand eine Wanderausstellung, zunächst mit sechs Stationen, die erste war unser Museum.
Das Konzept ging auf, der Erfolg gab uns Recht. Doch niemand von allen Beteiligten hätte sich damals träumen lassen, dass »Busy Girl« mehr als 20 Jahre on tour sein werde und die Ausstellung einen Eintrag im Guinnessbuch der Rekorde erhielt.
Karin Schrey
ist Museumspädagogin, Ausstellungskuratorin, Fachjournalistin und Spielzeugsammlerin.
Im Museum der Stadt Ratingen betreute sie jahrzehntelang die Abteilung Historisches Spielzeug und schrieb Kindersachbücher.
Bettina Dorfmann
besitzt über 18.500 Barbiepuppen in originaler Kleidung und damit die weltweit größte Sammlung, was u. a. im Guinnessbuch der Rekorde dokumentiert ist. In ihrer Barbie-Klinik restauriert sie Modepuppen aus ganz Europa. Für ihr Engagement gewann sie 2011 der DollAmi-Award der Puppenfesttage in Eschwege.
… in der BILD-Zeitung mit einem Cartoon des Karikaturisten Reinhard Beuthin, der Serie einer jungen, blonden Frau mit Pferdeschwanz, die einem bis dahin in Deutschland unbekannten Frauentyp entsprach: allein lebend, mode- und selbstbewusst, mit einer freien Moral, die im prüden Nachkriegsdeutschland schockierte. Diese Figur »Lilli« wurde schlagartig zum Liebling der Leser. Junge Mädchen sammelten die Cartoons und imitierten ihre Frisur und ihre Outfits.
Bald wurde Lilli als Modepuppe hergestellt und wandte sich zunächst an eine erwachsene Käuferschicht, nur wenige Kinderhände werden mit ihr gespielt haben.
Die amerikanische Unternehmerin Ruth Haendler, die 1958 auf einer Europareise in einem Schaufenster die Bild-Lilli entdeckt hatte, schaffte es, die Puppe fast unverändert in ein Kinderspielzeug zu transformieren. Sie erhielt die Vermarktungsrechte, um die Puppe neu zu gestalten und ihr Umfeld zu erweitern. Im März 1959 wurde auf der »American Toy Fair« die »Barbie-Puppe« erstmalig vorgestellt, benannt nach Ruth Handlers Tochter Barbara.
Barbie steht, auch wenn sie einen kleinen Umweg über das Partygirl Lilli genommen hat, in einer Jahrhunderte alten Tradition.
Modepuppen haben Generationen von Mädchen auf ihre Lebensaufgaben vorbereitet. Heute lassen sich mit Barbie und mit anderen, ihr verwandten Modepuppen alle Bereiche menschlichen Lebens nachspielen.
Das Besondere an Barbie ist, dass sie immer aktuell ist. Anfang der 60er Jahre trug sie Pferdeschwanz und weite Röcke. Um 1965 – die Rock’n’Roll-Zeit war angesagt – wurde die Mode eleganter, der »Jackie-Stil« eroberte die Kleiderschränke und Pillbox-Hüte wurden getragen. In den späten 60er Jahren folgte die ausgeflippte Hippi-Mode.
Mitte der 70er Jahre brach das Disco-Fever aus, und Schauspielerin Farrah Fawcett-Majors galt als Schönheitsidol. Die Ähnlichkeit mit der »Super Star Barbie« ist nicht zu übersehen.
Die 80er Jahre brachten der Menschheit die Jogging- und Fitnesswelle und endeten mit großen Rock Events. Klar, Barbie war stets Trendsetter in den Warenhäusern weltweit. Inzwischen benutzt sie den neusten Computer, das aktuellste Handy und die Digitalkamera. (Karin Schrey)
Barbie Inklusion | Curvy mit Hörgerät |